09.07.2024

Die mediale Ignoranzstarre

Von Marco Hörmeyer

Für Menschen mit Behinderung und deren Angehörige ist es eigentlich keine neue Erfahrung. Sie sind oftmals unsichtbar, unerhört und fliegen in der öffentlichen Wahrnehmung „unter dem Radar“. Besonders deutlich wurde dies im Zuge der erschreckend dürftigen Berichterstattung über den Anschlag auf eine Wohneinrichtung der Lebenshilfe Mönchengladbach. In einem interessanten taz-Gastbeitrag prägen zwei Wissenschaftlerinnen hierfür einen passenden Begriff: die mediale Ignoranzstarre.

Innerhalb weniger Wochen wurde diese mediale Ignoranzstarre offenkundig: Nach dem Pfingst-Nazigegröle von Sylt war der mediale Aufschrei riesengroß. Es gab Live-Schalten und Sondersendungen, alle wichtigen Bundespolitiker meldeten sich zu Wort und verurteilten das rassistische Gegröle. Und das vollkommen zu Recht. Nur wenige Tage später kam es zu der menschenverachtenden Ziegelstein-Attacke auf die Wohneinrichtung für Menschen mit Behinderung in Mönchengladbach. Hier blieben die bundesweiten Medien nahezu stumm; überregional fand der Anschlag so gut wie keinerlei Beachtung, der große Aufschrei blieb aus. Mehr Ignoranzstarre geht kaum.

Dabei ist das alles nicht neu. In zahlreichen Studien kritisieren Fachleute fortlaufend und immer wieder, dass die Berichterstattung über Menschen mit Behinderung weit unter der Wahrnehmungsschwelle liegt, eindimensional und undifferenziert sowie voller Stereotypen und Klischees ist. Doch ändert sich etwas? Nein – und Tatsache ist, dass sich auch nichts ändern wird.

Warum ist das so? Verlage und Medienhäuser sind Wirtschaftsunternehmen, die knallhart auf ihre Zahlen gucken müssen – und die heutige Währung sind Klickzahlen. Stark geklickte Beiträge bringen bares Geld und werden daher mit sogenannten „Weiterdrehen“ und reißerischen Überschriften bis auf den letzten Tropfen ausgequetscht. Kaum geklickte Beiträge fallen hingegen durchs Rost, werden vernachlässigt und thematisch aussortiert – mit dem Totschlagargument „Will ja keiner lesen oder sehen“. Beiträge über und mit Menschen mit Behinderung sind nun mal oftmals komplex und erklärungsintensiv, produzieren keine Schlagzeilen – und erscheinen daher erst gar nicht. Und wenn es keine Beiträge gibt, kann auch nichts geklickt werden.

Was können wir tun? Mutig und aktiv gegensteuern! Wenn die Medien nicht über uns berichten (wollen), dann berichten wir selbst über uns und erzählen, was uns bewegt und beschäftigt. Es gibt dank Social Media viele neue Möglichkeiten, aktiv und authentisch zu kommunizieren. Sei es über einen eigenen Blog, auf Facebook, Instagram oder anderen Kanälen. Die Kommunikation wird vernetzter, andere lesen über uns, bleiben dabei, werden neugierig und lesen weiter. Und manchmal stößt dann doch ein Journalist auf den Blog oder den Instagram-Kanal – und berichtet vielleicht darüber.

Wir werden die mediale Ignoranzstarre damit nicht beenden können. Aber wir müssen sie auch nicht tatenlos über uns ergehen lassen.

Der Text ist auch in der Ausgabe 3/2024 der Lebenshilfe-Zeitung erschienen.

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